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Telemedizin: Die „neue Normalität“ und der strategische Schlüssel zur Bewältigung der sich verändernden Dynamik im Gesundheitswesen

Luke Taylor

Manager, Healthcare Business Consulting, EPAM

Christian Sanchez

Manager, Healthcare Business Consulting, EPAM
Blog
  • Gesundheitswesen

Die Telemedizin hat einen Wendepunkt erreicht. Letztes Jahr um diese Zeit haben sowohl Anbieter als auch Kostenträger sichere telemedizinische Angebote beschleunigt oder erweitert, Dienstleistungen ausgeweitet und Regelungen angepasst. Nach jahrzehntelangen Hürden und einer schleppenden Akzeptanz sahen sich die Einrichtungen mit den durch COVID-19 hervorgerufenen Komplexitäten konfrontiert, die den Status quo tiefgreifend veränderten – eine Veränderung, die unserer Meinung nach dauerhaft sein wird. Die virtualisierte Behandlung ist jetzt die „neue Normalität“, und Telemedizin ist nicht länger optional, sondern ein wichtiger Geschäftsfaktor. Führungskräfte im Gesundheitswesen sollten sich darauf einstellen und mit der Planung über die Pandemie hinaus beginnen, um die Wettbewerbsfähigkeit auf dem aufkeimenden „Connected Care“-Markt zu verbessern.

Telemedizinische Lösungen mögen mit gezielten Funktionen wie Videokonferenz-Hosting und EHR-Integrationen relativ einfach erscheinen. Diese Funktionalität ist jedoch lediglich die Grundlage. Da die virtuelle Behandlung als Grundlage für die Bereitstellung besserer Patientenerlebnisse dient, können zusätzliche Lösungen integriert werden, die eine noch intensivere Interaktion ermöglichen, um Krankheiten früher zu erkennen, tiefere Einblicke in Echtzeit zu gewinnen und bessere Ergebnisse zu erzielen. Wir werden zwei aufkommende Technologien mit großem Potenzial zur Verbesserung der Telemedizin betrachten: Computervision und biometrische Patientenüberwachung.

Computervision (CV) erfasst Daten aus Bildern und Videos, um aussagekräftige Informationen zu analysieren und zu extrahieren. So können in Echtzeit Erkenntnisse gewonnen werden, die effektivere virtuelle klinische Interaktionen fördern und die Entscheidungsfindung des Anbieters verbessern. Innerhalb eines integrierten virtuellen Behandlungsökosystems können CV-Dienste proaktiv neue Patientendaten vor der virtuellen Besprechung in die Patientenakte einpflegen und Maschinelles Lernen (ML) nutzen, um die Anbieter vor hochgradigen Abweichungen zu warnen und sicherzustellen, dass sie über die notwendigen Informationen zur effektiven Durchführung der Behandlung verfügen.

Im Jahr 2019 konnten neurologische Spezialisten und Forscher am Mount Sinai Health System mit Hilfe von CV kleinste Hinweise auf akute neurologische Erkrankungen erkennen. Die Forscher „trainierten“ das intelligente System anhand von über 37.000 CT-Scans in einer simulierten klinischen Umgebung und erkannten dabei schnell Muster, die mit dem bloßen Auge oft schwer zu erkennen sind. Das System war in der Lage, alle 1,2 Sekunden einen Scan auszuwerten und das Wissen über Hunderte von Patienten zusammenzutragen, und das mit einer Geschwindigkeit, die etwa 150 Mal schneller ist als die Interpretation durch einen Radiologen. Stellen Sie sich vor, wie viele Leben diese Technologie bei zeitkritischen neurologischen Erkrankungen retten könnte, wenn diese Informationen in die virtuelle Besprechung jedes Patienten integriert würden.

Eine kritische Komponente für den nachhaltigen Erfolg der Einführung von Telemedizin ist der Fokus auf Qualität. Da es jedoch keine persönlichen Besuche gibt, haben Kliniker nur begrenzte Möglichkeiten, die für eine effektive Versorgung notwendigen Biomarker zu ermitteln. Diese Herausforderung schafft den Bedarf an Patientenfernüberwachung (RPM) oder „Telemonitoring“, insbesondere für Hochrisikopatienten mit akuten Herz-, Lungen- und Nervenerkrankungen.

Mit der Unterstützung von RPM-Systemen können EHR- und Telemedizin-Besuche biometrische Patientendaten integrieren, die von Wearables und Home-Health-Geräten überwacht werden. Einige dieser Technologien sehen wir bereits in „Gesundheitsuhren“, die Herzfrequenz, Aktivitätsniveau, Schlafqualität und Blutdruck in Echtzeit überwachen. Geräte, die auf komplexere Krankheiten abzielen, erfordern jedoch klinische Funktionalitäten, die über die derzeit auf dem Markt befindlichen Wearables hinausgehen. Diese Geräte müssen über die Hardware hinausgehen und eine Plattform bieten, die sich mit EHR-Systemen integrieren lässt. Für die Zukunft sind anspruchsvollere Anwendungsfälle zu erwarten, wie z. B. Fitness-Tracking mit Trainingserinnerungen, Sturzerkennung für Senioren über Bodensensoren oder Medikamenteneinnahmeüberwachung mittels CV. Die Integration all dieser Informationen zurück in das EHR-System kann ein leistungsfähiges Werkzeug sein, um das Erreichen des „Quadruple Aim“ der wertorientierten Versorgung (Value-based Care – VBC) zu beschleunigen, d. h. erneute Krankenhauseinweisungen und Krankenhausaufenthaltskosten zu verringern.

Die Verantwortlichen im Gesundheitswesen sollten RPM-Vorteile als notwendigen Bestandteil langfristiger Telemedizinstrategien betrachten. Erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass große Teile der Branche bereits mit diesen Initiativen voranschreiten: 88 % der Anbieter investieren bereits in RPM-Lösungen oder erwägen deren Erwerb. Die US-Bundesregierung hat dies ebenfalls zur Kenntnis genommen und im 4. Quartal 2020 Klarstellungen und zusätzliche Richtlinien herausgegeben, weitere werden im Laufe des Jahres 2021 erwartet.

Führende Gesundheitsorganisationen erhöhen bereits die koordinierte Skalierung von Telemedizin-Funktionen mit KI und digitalen Erweiterungen. Das Ergebnis ihrer Bemühungen sind umfassende digitale „Front-Door-Strategien“, die siloartige Plattformen, mobile Anwendungen und Webportale integrieren, um die Benutzererlebnisse nachzuahmen, die Patienten in anderen verbraucherzentrierten Branchen erwarten. Hier sind einige praktische Empfehlungen für die nächsten Schritte, um Ihre Reise entweder zu beginnen oder zu beschleunigen:

  1. Integrieren Sie virtuelle Pflegeplattformen in Managementprogramme von IT-Portfolios und achten Sie dabei auf strategische Planung und Datenmanagement: Zukunftsfähige Einrichtungen im Gesundheitswesen kultivieren ihren strategischen Erfolg, indem sie ein sogenanntes „Capability Mapping“ für sich schnell entwickelnde Technologien durchführen und die Dokumentation und Governance standardisieren. Beginnen Sie mit dem Aufbau von Perspektiven für ein Modell und eine Agenda zur Entwicklung, Verbesserung und Skalierung Ihrer telemedizinischen Plattformen zu strategischen digitalen Ressourcen.
  2. Etablieren eines differenzierten ersten Anlaufpunkts für den virtuellen Kontakt: Eine erfolgreiche digitale Front-Door-Strategie, welche die virtuelle Versorgung unterstützt, sollte Werkzeuge beinhalten, die Verbraucher und Anbieter anleiten, orientieren und unterstützen, um so effektiv die gesuchten Informationen zu erhalten. So können beispielsweise Webportale und -anwendungen mit SSO-Funktionalität (Single-Sign-On) erweitert werden, damit sich Benutzer mit nur einem Anmeldedatensatz sicher bei mehreren Anwendungen und Websites authentifizieren können.
  3. Einrichten von integrierten Self-Service-Funktionen: Um das Vertrauen der Patienten zu maximieren und zu verbessern, sollten Organisationen im Gesundheitswesen Self-Service-Funktionen implementieren, die es den Patienten ermöglichen, auf sinnvolle und relevante Weise mit der Organisation zu interagieren. Viele Verbraucher im Gesundheitswesen wünschen sich dringend den Zugang zu Self-Service-Werkzeugen, um eine Vielzahl von erforderlichen Aufgaben zu erledigen, wie z. B. das Ausfüllen von medizinischen Formularen mit Fragen, die vor oder nach einem telemedizinischen Termin auftreten können. Wenn Patienten die Kontrolle über einige Aspekte ihrer Versorgung übernehmen, können Gesundheitsorganisationen die Zufriedenheit steigern, indem sie Dienstleistungen praktischer gestalten.

Die Verantwortlichen im Gesundheitswesen müssen Telemedizin-Funktionalitäten der nächsten Generation in ihre strategischen IT-Fahrpläne aufnehmen, um mit den Präferenzen der Verbraucher und der dynamischen Einführung digitaler Gesundheitsversorgungsmodelle durch Wettbewerber Schritt zu halten. Durch die proaktive Neugestaltung bestehender Telemedizin-Funktionen und die Integration digitaler Tools können Gesundheitsorganisationen den notwendigen Wechsel von einem reaktiven und transaktionalen Status zu einem proaktiven und dynamischen Status einleiten. Während sich dieser Wandel weiter vollzieht, haben die Verantwortlichen im Gesundheitswesen die Möglichkeit, sich als Anbieter zuverlässiger und intensiver verbraucherzentrierter Erlebnisse neu zu positionieren, indem sie umfassende digitale Strategien ausbauen, welche die bestehenden telemedizinischen Möglichkeiten ergänzen.