Skip navigation EPAM

Der demaskierte Kunde: EPAM Continuum meint...

Die unsichtbare Macht hinter dem Kundenverhalten

Érica Moreti

Head of Strategy and Innovation, EPAM Continuum
Blog
  • Einzelhandel und Vertrieb

Im Bericht „Der demaskierte Kunde“ baten wir das Consumer Council von EPAM Continuum, das aktuelle Kaufverhalten von Kunden unterschiedlicher Geschäftsbereiche zu analysieren. Wir überprüften, wie sich das Kaufverhalten in den nächsten 12 Monaten verändern wird. Die zentrale Frage: Was steckt wirklich hinter der oft unbekannten Variable Kundenverhalten?

Érica Moreti, Head of Strategy and Innovation bei EPAM Continuum, spricht darüber, warum das Verhalten der Kunden auch nach einem Jahr der Evaluation immer noch nicht abschließend decodiert ist.,

Die erste Ausgabe des Berichts „Der demaskierte Kunde“ zeigt, dass der „Wert“ – eine komplexe Kombination aus Preis, Qualität und Komfort – der wichtigste Faktor für die Kaufentscheidungen von Kunden ist. Dieses Phänomen ist nicht neu, aber seine Bedeutung hat sich durch die Pandemie stark verändert.

Immer wieder spielt Unsicherheit eine große Rolle beim Kundenverhalten. Die Kunden sind so unsicher wie nie zuvor, wenn es um die Verwaltung ihrer Finanzen geht, da sie nicht genau wissen, was die unmittelbare Zukunft bringt. Die erste Coronawelle führte zu einem veränderten Kundenverhalten. Aber es gibt auch weitere Faktoren, die sich fortwährend auf dieses Unsicherheitsgefühl auswirken. Die Pandemie ist noch lange nicht ausgestanden.

Die Verhaltensökonomie zeigt uns, dass Unsicherheit zu einem von zwei Szenarien führen kann: zum einen zu übermäßigen Ausgaben, bei denen Kreditkarten oder neue Arten von Zahlungslösungen ausgereizt werden; die Menschen nehmen Kreditangebote wahr. Zum anderen auf eingeschränkte, aber fortgesetzte Ausgaben, da kein Vertrauen in die mittelfristige berufliche Absicherung besteht und nur Sicherheit bezüglich der kurzfristigen Zahlungsbefähigung vorliegt.

Wenn Kunden hinsichtlich der Zukunft verunsichert sind, kann dies dazu führen, dass sie genauer darauf achten, was sie ausgeben und wofür. Sie sind dann bemüht, Qualitätsprodukte mit hoher Lebensdauer zu erwerben, bei denen nicht der Eindruck entsteht, dass zu viel ausgegeben wurde. Besonders dann, wenn beim Kauf höhere Preisnachlässe gewährt wurden, erfolgten häufiger Käufe durch die Kunden. Sie trafen die Kaufentscheidung unter emotionalen statt rationalen Gesichtspunkten. 

DIE WELTWEITE UNSICHERHEIT

Der aktuelle weltweite Zustand wirkt sich in vielerlei Hinsicht auf unser Alltagsleben aus. Wenn das Umfeld nur schwer vorhersehbar erscheint, wirkt sich die Furcht vor möglichen negativen Ereignissen fortwährend auf unser Handeln aus. Insgesamt herrscht derzeit vorsichtiger Optimismus, dass die Welt sich wieder stärker „öffnet“ und zu einem Normalzustand zurückkehrt. Aber das Auftreten der Delta- oder der Omnikron-Variante hat viele Menschen noch stärker verunsichert. Besonders in Bezug auf den Umgang mit den eigenen Finanzen und dem Wunsch, die eigenen Bedürfnisse wie gewohnt zu befriedigen, ergeben sich entsprechende Diskrepanzen.

In Kombination mit politischer Instabilität und besorgniserregenden Berichten zur Klimakrise hat dies dazu geführt, dass sich die Kunden seit der ersten Coronawelle insbesondere damit auseinandersetzen, was für sie am besten funktioniert. Unsicherheit war auch in den Jahren vor Corona zwar durchaus ein Faktor, aber sie ist durch die Pandemiesituation noch einmal stark angestiegen.

NACHHALTIGKEITSZWEIFEL

Nachhaltigkeit und die große Frage nach dem Klimawandel beschäftigen auch die Kunden. Diese Fragen haben direkten Einfluss auf das Einkaufsverhalten der Menschen. Angesichts einer unklar erscheinenden Zukunft sollte die Nachhaltigkeit gegenwärtig das zentrale Thema sein. Aber die aktuelle Unsicherheit führt dazu, dass die Zusatzausgaben für nachhaltige Produkte zwar als erstrebenswert, aber nicht als erreichbar angesehen werden. Derartige Zusatzausgaben haben keine Priorität, da ein Großteil der Konsumenten bezüglich der eigenen finanziellen Zukunft verunsichert ist.

Wir wissen noch nicht, ob oder wann widerstreitende Faktoren wie das Ansehen einer Marke, die Verfügbarkeit oder die Qualität nachhaltiger Produkte sowie der ehrliche Wunsch, verantwortungsvoll einzukaufen, in diesem Zusammenhang eine Verhaltensänderung nach sich ziehen. Externe Einflussfaktoren wie Kundeninformation, mögliche zukünftige regulatorische Vorgaben zu Nachhaltigkeitsmaßnahmen oder branchenweite Standards werden eine starke Rolle dabei spielen, wann und inwiefern Kunden die Nachhaltigkeit von Produkten als wichtigsten Aspekt benennen werden. Wann ein solcher Wandel erfolgt, ist offen. Er könnte auch plötzlich erfolgen. Der Kunde gibt hier das Tempo durch sein Kaufverhalten vor.

Aus einer anderen Perspektive betrachtet, muss nachhaltiges Kaufverhalten nicht zwangsläufig übermäßige Zusatzkosten bedeuten; Kleidung aus zweiter Hand stellt beispielsweise eine effektive Möglichkeit dar, in diesem Zusammenhang der Unsicherheit entgegenzuwirken. Es schadet nicht, dass Wiederverwertbarkeit derzeit chic ist – das Gefühl, durch den Kauf bereits getragener Kleidung etwas für die Nachhaltigkeit zu tun, ist aktuell eine zusätzliche Triebfeder dafür, so zu handeln. Letztlich ermöglicht der Erwerb von Kleidung aus zweiter Hand den Kunden, seinen Look für ein geringeres Budget zu verändern, was insbesondere in der jüngeren Generation populär ist. Gleichzeitig gibt dieses Handeln ein gutes Gefühl, in einer Zeit der Unsicherheit Geld zu sparen. Einige größere Einzelhandelsunternehmen gehen inzwischen sogar so weit, neue Programme zu entwickeln, die gebrauchte Artikel nach Reparaturen oder Aufbereitungen zu einem reduzierten Preis in den Mittelpunkt stellen.

DER NEUE VERKAUFSRAUM

Die Rolle von lokalen Verkaufsräumen war schon vor der Pandemie im Umbruch, aber die Notwendigkeit, Digitales und Physisches zusammenzuführen, die den Einzelhandel, insbesondere die Modebranche, erfasst hat, ist inzwischen so stark wie noch nie. Digitale Dienste wie Drive-in oder Click-and-Collect sowie neue Zahlungsmethoden haben das Einkaufsverhalten der Konsumenten verändert, was auch zukünftige Besuche in physischen Geschäften beeinflussen wird. Die derzeitige Situation könnte hier starken Einfluss darauf haben: Was war während der Pandemie für die Kunden problemlos verfügbar und zu erwerben? Wird sich das geänderte Verhalten auch in Zukunft zeigen? Da das aktuelle Umfeld so unvorhersehbar ist, können noch keine Aussagen über die Nachhaltigkeit der sich in der Pandemie entwickelten Trends getroffen werden. Klar ersichtlich ist jedoch, dass Unternehmen gezwungen sein werden, Hybridlösungen einzuführen, wenn sie auf die Bedürfnisse des durchschnittlichen Kunden eingehen möchten.

Sind beispielsweise Ladenlokale noch nötig, wenn fast das gesamte Geschäft digital erfolgt? Möglicherweise nicht. Aber selbst, wenn physische Geschäftsräume nie wieder dieselben Kundenströme anziehen werden, wie sie es vor der Pandemie taten, könnte es trotzdem noch immer von Vorteil sein, eine physische Präsenz zu erhalten, die als Anlaufstelle dient. Geschäftsräume können für zu einem Fixpunkt werden, während sie ihre Rolle als Personal Shopper ausbauen, dabei über Apps Kontakt zu den Kunden halten und sie Artikel für Artikel beim Kauf unterstützen. Statt der Ort zu sein, an dem Käufe stattfinden, könnten sich Ladenlokale hin zu Ausstellungsorten wandeln oder zu Orten, die auf andere Weise in das Onlineerlebnis integriert sind. Das Beibehalten einer physischen Präsenz könnte sich auf das Kundenvertrauen zur Marke auswirken oder den Eindruck stärken, dass die Marke in der realen Welt existiert und greifbar ist (Beispiele wären Amazon Go oder Google Store).

Diese Umstände bringen unweigerlich Veränderungen mit sich, nicht nur durch kleinere Gebäudebestände im Einzelhandel, sondern auch in der Form, die diese Bestände annehmen. In Deutschland beginnen Geschäfte beispielsweise damit, Kategorien zu vermischen, die man herkömmlicherweise nicht im selben Korridor, Bereich oder sogar Laden gefunden hätte. Aber wenn das Ladenlokal tatsächlich nur noch für Repräsentationszwecke dient, warum sollten dann nicht Fahrzeuge und Sportausrüstung im gleichen Raum vorgeführt werden, wenn sich Unternehmen so auch die Kosten für den Raum teilen können? Weshalb sollten Marken nicht in der Lage sein, sich Räumlichkeiten zu teilen, und so Zugang und vereinfachte Einkäufe zu ermöglichen, während zugleich die Kosten für nicht benötigte Ladenlokale eingespart werden können?

KANALWECHSEL

Der Kunde hat sich verändert. In allen Bereichen bringt diese Veränderung Markenanbieter dazu, sich ganz neue Gedanken darüber zu machen, wie sie ihr Angebot darbieten und welche Kanalstrategien und Geschäftsmodelle sich ändern müssen, um den so gewonnenen Erkenntnissen Rechnung zu tragen. Dies hat natürlich weitreichende Konsequenzen. Auf einmal kann alles das, was der Kunde nicht sieht – die Strukturen für Auftragserfüllung, Logistik und Personalwesen, die ursprünglich eine gewaltige Infrastruktur mit sich brachten –, verschlankt, beweglicher und schneller gestaltet werden. Beispielsweise haben einige Unternehmen, die auf einige wenige Flaggschiffe setzten, das verwendete Format überdacht, um sich so besser an ihre Kunden anzupassen. Einige Geschäfte haben ihre Fertigung in die tatsächlichen Ladenlokale überführt und stellen Waren her, während diese gleichzeitig vor Ort verkauft werden – alles an einem Standort. Einige Branchen, zum Beispiel der Modebereich, haben diese Phase noch nicht ganz erreicht, während gerade in der Lebensmittelbranche – und hier insbesondere Lebensmittelgeschäfte – aufzeigen, wie dies sehr gut umgesetzt werden kann.

Insgesamt ist diese Veränderung noch Zukunftsvision, aber diese Zukunft liegt um die Ecke. Die Zeitspanne zwischen unserer Gegenwart und Zukunft ist immer schwerer abzuschätzen, insbesondere, wenn sich momentan fast täglich etwas verändert. „Der demaskierte Kunde“ hilft Unternehmern dabei, diese unsicheren Zeiten und die Kunden besser einzuschätzen. Unser fortwährender Anspruch ist es, weiterhin die Ursachen für die Veränderungen im Kundenverhalten zu untersuchen, um Zusammenhänge und Ursachen im Verhalten unseres Consumer Councils aufzudecken und zu verstehen, wie sich diese auf Unternehmen auswirken.

Lesen Sie hier mehr über unsere aktuellen Untersuchungen und registrieren Sie sich, um die zwölfmonatige Studie weiterzuverfolgen.