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Netzwerk des Vertrauens: Transparenz & Rückverfolgbarkeit schaffen neues Kundenvertrauen

Antonia Simon

Experience Consultant

Gianluca Morsia

Experience Consultant

Federica Bagini

Senior Innovation Consultant
Blog
  • Einzelhandel und Vertrieb

Klimakrise, Pandemie, humanitäre und geopolitische Krisen – die letzten zwei Jahre haben deutliche Spuren hinterlassen, auch im globalen Handelsverkehr. Ob Stillstand in der Produktion, Auswirkungen des Krieges zwischen Russland und der Ukraine oder Notlagen infolge des Hurrikans Ian und anderer extremer Wetterereignisse – die Welt erlebt ein beispielloses Szenario von Lieferengpässen und einschneidenden Ereignissen, die sich direkt auf die Verbraucherindustrie auswirken. 

Vor diesem Hintergrund zeigt sich die Verwundbarkeit unserer globalen Lieferkette, die sich als ein undurchsichtiges Ökosystem unterschiedlicher Akteure entpuppt. Lieferketten sind zwar durch ihre physische Infrastruktur miteinander verbunden, zugleich aber durch die fehlende digitale Vernetzung und Transparenz voneinander getrennt. Das Ergebnis sind ungenaue Prognosen, längere Vorlaufzeiten und der so genannte Bullwhip-Effekt.

Der Verbraucher nimmt nicht mehr nur die Marke unter die Lupe, sondern den gesamten Lieferprozess eines Produkts. Eine gute Ökobilanz zu gewährleisten, ist schon Herausforderung genug. Nun haben sich auch noch die Kriterien verschärft, nach denen wertorientierte Verbraucher ihre Einkaufsentscheidungen fällen. Die Ergebnisse unserer jüngsten Verbraucherstudie zeigen, dass Konsumenten nicht nur der Marke vertrauen möchten, sondern auch den unzähligen Akteuren in der gesamten Produktlieferkette.

Die Verbraucher haben keine Lust mehr auf leere Versprechungen und Greenwashing. Marketing- und Werbebotschaften – egal wie schön und vielversprechend sie auch klingen mögen – wecken bei Konsumenten kein Vertrauen mehr. Stattdessen müssen Unternehmen Fakten schaffen, um das Vertrauen (neu) zu gewinnen. Laut einer Umfrage von Havas, die Mitte 2020 auf dem Höhepunkt der Pandemie durchgeführt wurde, waren 71 % der Konsumenten nicht davon überzeugt, dass Unternehmen ihre Versprechen einhalten würden. Und nur 34 % waren der Meinung, dass Marken bei ihren Zusagen und Versprechen transparent vorgingen. So, wie Komfort eine grundlegende Erwartung von Verbrauchern geworden ist, wird die Forderung nach Transparenz immer mehr zur Richtschnur ihrer Produkterlebnisse.

Um dauerhaft Sicherheit, Nachhaltigkeit, Inklusion und Flexibilität zu gewährleisten, müssen sich Lieferketten in digitalisierte Netzwerke verwandeln, die auf Vertrauen basieren. Der Aufbau eines Netzwerks des Vertrauens bedeutet weit mehr als die Pflege langjähriger Beziehungen. Es erfordert mehr als den Einsatz von Technologien, die verschiedene Akteure miteinander vernetzen und so einen transparenten, lückenlosen Datenaustausch ermöglichen. Es genügt auch nicht, sich nur auf die Daten zu verlassen, die Ihr Unternehmen sammelt. Der springende Punkt beim Aufbau einer zuverlässigen Lieferkette ist nicht nur das Vertrauen, das Sie den einzelnen Akteuren in Ihrer Lieferkette entgegenbringen, sondern auch das Vertrauen in die Daten, die sie generieren. Das beste Beispiel dafür ist der europäische Pferdefleischskandal von 2013, auch bekannt als Horsegate. Ohne eine lückenlose Datenerfassung und einen transparenten Informationsaustausch wird es schwierig, das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen.

Die Zusammenführung von Lieferketten in ihren einzelnen Teilbereichen, die Förderung des Datenaustauschs und die Schaffung von Vertrauen sind nicht gerade leichte Aufgaben. Es gibt natürlich keine Patentlösung, und die Funktion des jeweiligen Akteurs auf dem Markt bestimmt natürlich seinen eigenen Lösungsweg. Im Folgenden stellen wir Ihnen drei Ansätze vor, die Ihnen helfen können, mit Transparenz und Rückverfolgbarkeit neues Kundenvertrauen zu schaffen.

1. ALLE KOMMEN, KEINER GEHT: DAS AGGREGATOR-MODELL

Zentrale Datenquelle für die Zusammenführung öffentlicher und privater Akteure der Lieferkette

Im März 2022 kündigte die US-Regierung unter Biden und Harris die Initiative „Freight Logistics Optimization Works (FLOW)“ an. Dabei handelt es sich um ein Pilotprogramm zur Entwicklung eines digitalen Tools, das Informationen zur Situation an einem bestimmten Knotenpunkt oder in einem Gebiet in der Lieferkette bereitstellt. Diese Informationen sind nützlich, um den Warentransport schneller und kostengünstiger durchführen zu können. Mit einer wachsenden Anzahl von Akteuren aus ganz unterschiedlichen Bereichen der Lieferkette – darunter mehrere Versandunternehmen (Target, Procter & Gamble, Samsung), Spediteure (Maersk, DHL, UPS, FedEx und andere), Containerterminals und Hafendienste (APL Terminals, Consolidated Chassis Management) sowie der Spediteur Flexport – legte die Initiative einen beeindruckenden Start hin.

Mit dem Ziel, die Produktkosten für Haushalte zu senken, schafft die FLOW-Initiative mehr Transparenz darüber, wie und wohin die Produkte transportiert werden und wo sie verbleiben. Das System setzt auf einen positiven Kreislauf, bei dem sich die Kommunikationswege verbessern, mehr und bessere Daten zur Verfügung stehen, die Zahl der Teilnehmer steigt und schließlich die Lieferzeiten verbessert und die Kosten für die Verbraucher gesenkt werden. FLOW ist ein gutes Beispiel dafür, wie der öffentliche Sektor versucht, die Defizite in der Lieferkette zu beheben – und zwar durch einen zentralisierten Datenaustausch zwischen den verschiedenen privaten und öffentlichen Akteuren der Lieferkette.

2. DIE EINEN REIN, DIE ANDEREN RAUS: DAS PARTNER-MODELL

Überdenken und Erneuerung der aktuellen Kooperationen und Lieferkettenprozesse

Der privatwirtschaftliche Sektor hingegen vertraut auf ein anderes Modell als die US-Regierung. Dabei setzen Privatunternehmen zur Vermeidung von Störungen und zur Behebung eigener Engpässe auf vertrauenswürdige Partnerschaften. So lässt sich die Rückverfolgbarkeit durch die Einführung neuer Kontrollmechanismen in ihrer Lieferkette verbessern.

Ein Paradebeispiel ist die Kooperation von Google und Minespider. Minespider ist eine Transparenzplattform, über die Unternehmen Nachhaltigkeitsmaßnahmen entlang ihrer Lieferketten erarbeiten, erfassen und kommunizieren können. Die beteiligten Bergbauunternehmen von Minespider, darunter Minsur und LuNa Smelter, setzen sich für eine bessere Nachverfolgbarkeit von Kupfer, Kobalt, Blei, Zinn und anderen konfliktträchtigen Ressourcen ein. Sie erstellen Blockchain-gesicherte digitale IDs, so genannte digitale Produktpässe, mit denen sich die Materiallieferungen an nachgeordnete Kunden (darunter auch Google) verfolgen lassen. Diese Pässe enthalten nicht nur Daten zur Herkunft, zur Sorgfaltspflicht und zu den CO2-Emissionen, sondern sind auch ein wichtiges Mittel zur Gewährleistung sicherer Lieferketten und zur Differenzierung und Wertschöpfung von Ressourcen.

Nathan Williams, Gründer und CEO des Berliner Start-ups Minespider, betont, dass „der Zugang zu verantwortungsvoll beschafften Mineralien für den ökologischen Wandel entscheidend ist.“ Angesichts der zunehmenden Ressourcenknappheit und dem zunehmend begrenzten Vorkommen natürlicher Rohstoffe drängt sich die Frage auf, ob die Privatwirtschaft mit Lösungen wie Minespider zusammenarbeiten sollte, um die Sicherheit ihrer Lieferketten zu garantieren.

3. AUSSENSEITER: DAS MODELL DES EINZELKÄMPFERS

Neudefinierung unserer globalen Lieferketten durch Verlagerung auf lokale Märkte

Das Pariser Unternehmen Ulé Beauty verfolgt im Umgang mit Problemen in der Lieferkette einen ganz revolutionären Ansatz. Die Lösung heißt Verkürzung der Lieferkette. Die pflanzlichen Rohstoffe für die Produkte von Ulé stammen aus einer Vertical Farm in der Nähe von Paris und sind von der Saat bis zum Tiegel lückenlos rückverfolgbar.

Anstatt sich auf externe Aggregatoren oder eine neue Lieferkette zu verlassen, konzentriert sich dieser unkonventionelle Ansatz auf die Lösung des (eigentlichen) Problems: zu lange Lieferketten mit zu vielen Beteiligten. Dieser Ansatz mag eher für kleine Unternehmen und Start-ups interessant sein. Doch grundsätzlich markiert er ein neues Denkmodell für Lieferketten. Eine verkürzte und hyperlokalisierte Lieferkette verringert nicht nur das Risiko von Ausfällen bzw. Unterbrechungen, sondern bietet auch die Möglichkeit zur Kontrolle, Transparenz und Rückverfolgbarkeit, die viele suchen.

WAS NUN?

Im Zuge der allmählichen Marktentwicklung hin zu mehr Sicherheit, Nachhaltigkeit und Robustheit in den Lieferketten lohnt es sich, ein Auge auf alle Aggregatoren, Partner und Einzelkämpfer dieser Welt zu werfen. Angesichts dieser ganz unterschiedlichen Ansätze wird deutlich, dass sich die Probleme im globalen Handelsverkehr nicht einfach pauschal lösen lassen. Eines ist jedoch klar: Vertrauen ist der gemeinsame Nenner und ohne Vertrauen werden Lieferketten nicht mehr funktionieren. Wenn Vertrauen also das Ziel ist, dann ist Transparenz der richtige Weg dorthin und Technologie das notwendige Rückgrat.

Durch eine bessere Kommunikation zwischen allen Akteuren in der Lieferkette werden Datenzugang und Transparenz für Verbraucher und Regulierungsbehörden zur neuen Selbstverständlichkeit. Mit Hilfe des technologischen Fortschritts wird dieser neue Standard die Lieferketten so verändern, dass sie im globalen und lokalen Kontext flexibel und störungsresistent funktionieren – und sich über Vertrauen definieren.